Corona – rechtliche Probleme des Lockdowns und der Lockerungen

Handlungsempfehlungen für betroffene Arbeitnehmer, Selbständige und Unternehmen 

Die Corona-Geschichte beschäftigt uns alle. Mich als juristisch denkender Mensch und als Rechtsanwalt vielleicht mehr als andere. Ich habe mich sehr früh (am 21.3.) auf meiner Homepage positioniert: Ich bin der Auffassung, dass die, die von den Maßnahmen betroffen sind, einen Anspruch auf Entschädigung haben. Diese Position ist – wenn ich die Presseberichte richtig deute – „im Vordringen befindlich“, aber bei Weitem nicht herrschende Meinung. Der Gedanke ist aber zwingend, weil alles andere einfach ungerecht ist. Eine Ungerechtigkeit, die unsere Gesellschaft schwer belastet.

Im Folgenden lege ich einige grundlegende Überlegungen zu der Korona-Krise dar, um daraus am Ende ein paar Handlungsempfehlungen abzuleiten.

1. Die Sachlage

Voranstellen sollte man vielleicht, dass wir alle, auch die, die jetzt um ihre Existenz bangen, noch glücklich sein können, dass wir in Deutschland leben und so regiert werden, wie wir regiert werden. In Italien, Spanien, den USA oder vielen anderen Ländern wäre die Chance, dass es einem wesentlich schlechter gehen würde, ausgesprochen groß.

Die Tatsache, dass es auf der ganzen Welt kaum ein Land gibt, welches vernünftig auf die Pandemie vorbereitet war, scheint in der Natur der Sache zu liegen. Nachhaltigkeit ist unseren politischen Systemen fremd. Das gilt sogar für China, das bekanntlich in größeren Zeitabschnitten denkt, aber z.B. mit Umweltschutz und dergleichen mehr auch nichts am Hut hat.

Dies vorausgeschickt ist einiges anzumerken:

Dass diese Pandemie (oder so etwas wie diese Pandemie) kommen würde, ist seit über 10 Jahren bekannt.

Der Risikoanalyse des Robert Koch Instituts Pandemie Virus Modi Sars, die von den Bundesländern beauftragt worden war, liegt seit Ende 2012 vor und ist seit Anfang 2013 öffentlich. Das war schon eine recht präzise Vorausschau auf diese Pandemie. Die Schweinegrippe in 2009/2010 mit bis zu 500.000 Toten hatte gerade in den USA den Wert einer Bevorratung mit Atemschutzmasken und Schutzkleidung gezeigt.

Vergessen wurde in der Folge, sich auf die Pandemie vorzubereiten.

Es wurde vergessen, die Testkapazitäten auszubauen, stattdessen wurden diese abgebaut, soweit das überhaupt noch möglich war.

Das Gesundheitssystem wurde ausgedünnt, anstatt es zu stärken.

Die Gesundheitsämter wurden personell reduziert, anstatt sie aufzustocken.

Es wurde keine Lagerhaltung für Schutzkleidung, Masken und Infektionsmittel, die auf den Bedarf einer Pandemie zugeschnitten sind, angelegt.

Und ab Anfang Januar, als man mit der Pandemie nun wirklich rechnen konnte, wurde vergessen, dass es sich die Risikoanalyse von 2012 anzusehen. Der amerikanische Geheimdienst hatte im Übrigen schon im November 2019 über eine auffällige Steigerung von Infektionskrankheiten in Wuhan/China berichtet. Schwer vorstellbar, dass das in Deutschland niemand mitbekommen hätte.

Das Wichtigste aber, was man in den Jahren zuvor unterlassen hatte: Es wurde kein Pandemie-Gesetz erarbeitet, es wurde keines diskutiert und dementsprechend auch nicht verabschiedet. Dass das RKI nicht auf die Idee gekommen ist, das Infektionsschutzgesetz könnte nicht ausreichend sein, kann man schon wenig nachvollziehen, unglaublich ist aber, dass keinem Politiker so etwas eingefallen und bei der Veröffentlichung der Studie aufgefallen ist.

Das führte dazu, dass im Februar/März 2020 die Bundesregierung und dann die Länderregierungen in die Grundrechte von Bürgern in beispielloser Weise eingriffen, ohne dazu eine ausreichende gesetzliche Grundlage zu haben. Eingriffe, die Millionen von Menschen zwang, sich mit Einkommenseinbußen von bis zu 40% zufrieden zu geben. Menschen, die alle nicht zu den Großverdienern gehören. Eingriffe, die die Rechte der Kinder auf Bildung in Frage stellten und die Rechte der Eltern auf Betreuung und Unterrichtung ihrer Kinder suspendierten.

Eingriffe, die dazu führten, dass mehreren hunderttausend Unternehmen die Ausübung ihres Gewerbes zunächst faktisch unmöglich gemacht, dann direkt untersagt wurde.

Maßnahmen, die im März aufgrund der Anzahl der erkrankten Personen möglicherweise als übergesetzlicher Notstand notwendig waren. Allerdings hätte es zum einen nicht soweit kommen müssen und zum anderen gibt es nicht wenige kluge Leute, die die Notwendigkeit der Maßnahmen insgesamt in Frage stellen. Ich selbst habe dazu keine Meinung. Ich weiß einfach nicht, was notwendig ist. Ich halte mich an die Regeln, hinterfrage aber ihrer Rechtmäßigkeit.

Aber unabhängig davon, wie man dazu steht, waren und sind es Maßnahmen, die den Betroffenen schlicht ungerecht erscheinen mussten: Ein Einzelhandelsunternehmer, der Schuhe verkauft, darf das nicht mehr, und sein Unternehmerkollege und Nachbar, der daneben Brötchen anbietet, hat keine Probleme. Ein Gastronom muss seine Gaststätte schließen und nach dem erklärten Willen der Bundesjustizministerin soll der Vermieter dieses Gastronomen gleichwohl seinen Anspruch auf Miete behalten. Der freie Musiker ist ohne Einkommen, der Kollege im städtischen oder staatlichen Orchester verdient weiter richtig gut und muss dafür nicht einmal arbeiten. Während Millionen von echten Existenzsorgen geplagt sind, machen andere aus der Krise das Geschäft ihres Lebens. Obwohl es ganz vorrangig um den Schutz der älteren Menschen über 70 geht, bezahlen die Maßnahmen die vor allem die jüngeren und die nächste Generation.

Das Unbehagen, dass die Maßnahmen auslösen, hat nicht nur seinen Grund in den Freiheitsbeschränkungen, die damit verbunden sind. Es hat nicht nur seinen Grund darin, dass berechtigte Zweifel an der Erforderlichkeit der Maßnahmen bestehen. Es ist aber m.E. vor allem die Ungleichbehandlung, die das Unbehagen befeuert. Man verlangt von einem Teil der Bevölkerung (inzwischen gibt es über 10 Millionen, die von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit betroffen sind) und einem Teil der Unternehmer und Selbständigen (zur genauen Zahl kann ich nichts sagen, es dürften aber schon mehrere hunderttausend sein), ein Sonderopfer. Die, die sich dagegen wehren, haben das Problem, dass sie einen Kampf für die eigenen Interessen führen. Die, die Maßnahmen verteidigen, haben das Problem, dass sie „gut reden haben“, wenn sie nicht betroffen sind.

Es hilft den Betroffenen, die nicht wissen, wie sie ihre Miete bezahlen sollen, die überlegen, ob sie jetzt Insolvenz anmelden müssen, wenig, dass sie sich für eine gute Sache opfern. Ihr Opfer ist nicht freiwillig. Sie wurden nicht gefragt. Und es ist nicht einmal sicher, dass ihr Opfer etwas geholfen hat. Mehr als die Hälfte der intensivmedizinischen Maßnahmen kann den Tod des Erkrankten nicht verhindern. Wir haben keine verlässlichen Zahlen über die tatsächliche Gefahr und den Angaben des Robert-Koch-Instituts nicht blind zu trauen, muss kein Ausdruck einer problematischen Grundhaltung zu unserem Gemeinwesen sein. Die Rolle des RKI in dieser Pandemie wird man vermutlich noch kritisch beleuchten und dass man dort Erklärungsprobleme hat, dürfte den Protagonisten auch bekannt sein.

Die Eingriffe wurden – deswegen sind sie so ungerecht – nicht mit der eigentlich geschuldeten und im Infektionsschutzgesetz grundsätzlich vorgesehenen Entschädigungszusage verbunden. Sie sind verbunden mit Hilfszusagen, die für sehr viele absolut unzureichend und für die meisten gar nicht vorgesehen sind.

Diese Hilfszusagen führten zusätzlich zu einem weiteren Unrecht: Natürlich gibt es viele, die besonders schnell sind, wenn es irgendwo irgendwas umsonst gibt. Dass dies häufig nicht die Leistungsträger unserer Gesellschaft sind, dürfte ein Allgemeinplatz sein. Vile Unternehmer oder Selbständige sind durch die staatlichen Hilfen an Geld gekommen, das sie im Leben in dieser Zeit nicht verdient hätten und es sehr, sehr viele, die kein Geld mehr bekommen haben, weil sie in der Liste der Antragsteller auf einen Platz geraten sind, der nicht mehr berücksichtigt wurde. Da tröstet es wenig, dass denen, die Leistungen zu Unrecht bezogen haben, es ganz sicher in ein paar Jahren bitter bereuen werden, so gierig gewesen zu sein.

Das größte Unrecht offenbart sich, wenn man die Situation von betroffenen Unternehmern und betroffenen Konzernen vergleicht: Nahezu alle kleinen und mittleren Unternehmer, alle Mittelständler müssen ihr Erspartes opfern und sie bekommen bestenfalls Hilfe zum Ausgleich ihrer Verluste, häufig nur als Kredit, für den sie auch noch zusätzliche Haftungsrisiken auf sich nehmen müssen. Die großen Konzerne dagegen erhalten Hilfen, während sie gleichzeitig vielleicht noch Dividenden an ihre Aktionäre ausschütten, ganz sicher aber weiter an ihre angestellten Vorstände und Mitarbeiter Millionen an Gehältern und Boni zahlen, obwohl diese die unerhört hohen Zahlungen schon in den Jahren zuvor nicht wirklich verdient hatten.

Das Unrecht hat dazu geführt, dass immer mehr nach Lockerungen gerufen haben. Aber – wie sich nun zeigt - die Lockerungen vergrößerten und vergrößern das Unrecht nur.

Zunächst gab es Einzelhandelsunternehmer im Non-Food-Bereich die ihre Läden wieder öffnen durften und solche, bei denen das nicht galt, weil die Verkaufsfläche zu groß war. Dann gibt Freizeitsportler, die ihren Sport nicht ausüben dürfen, obwohl sie sich und andere dabei sehr gut schützen könnten, und gleichzeitig dürfen millionenschwere Fußballvereine Geisterspiele veranstalten und der Staat übernimmt sogar noch die immensen Kosten für das Testen der Spieler. Zur gleichen Zeit enthält man Lehrern und Erziehern, die es viel nötiger hätten, die kostenlosen Tests noch vor. Die einen (Pflegekräfte) bekommen eine Prämie für eine gefährliche Arbeit, die anderen (Ärzte) bekommen eine Prämie, obwohl sie viel weniger zu tun haben und die Dritten (Grundschullehrerinnen, Kindergärtnerinnen) bekommen gar keine Prämie, obwohl sie sich den Kindern ungeschützt aussetzen müssen. Und die Ungerechtigkeiten sind in jedem Bundesland natürlich auch unterschiedlich.

Allerdings eint in dieser Ausnahmesituation die Position der Allermeisten, von den Vernünftigen bis zur Aluhut-Fraktion eins: Der Eigennutz. Hauptsache, ich komme möglichst ungeschoren davon. Hauptsache, mir geht es gut.

Der Rechtsgedanke, dass Sonderopfer zu entschädigen sind, beruht auf dem Gleichheitsgedanken.

Eine Verkäuferin bei REWE unterscheidet sich nicht von einer Verkäuferin in einem Schuhgeschäft und auch nicht wesentlich von einer Serviererin in einem Restaurant. Ein Arbeiter in einem Messebaubetrieb unterscheidet sich nicht wesentlich von einem Betrieb, in dem jetzt z.B. Schutzmasken genäht werden. Gastronomen, Hoteliers, Einzelhändler, Musiker, Messebaubetriebe, Kulturveranstalter, Friseure all das sind Gewerbetreibende, deren Unternehmen für das Funktionieren unserer Gesellschaft am Ende unverzichtbar sind. Hier dem einen zum Wohl der Allgemeinheit zu verbieten, eine Zeit lang sein Gewerbe nicht mehr auszuüben, ist nicht das Hauptproblem. Das Problem ist, diesen Gewerbetreibenden die Existenzgrundlage zu entziehen, zumindest ganz erheblich in sein Eigentumsrecht einzugreifen und ihm dabei das Recht auf Entschädigung zu verweigern.

Der Gleichheitsgedanke ist der Gerechtigkeitsgedanke schlechthin. Wenn der Staat Gleiches nicht gleich und Ungleiches nicht ungleich behandelt, dann ist der Staat ungerecht. Die Aufgabe des Aufopferungsgedankens in den Pandemiemaßnahmen, die Leugnung der offenkundigen Tatsache, dass all die, die von den Maßnahmen betroffen sind, gegenüber denjenigen, die weiter ihr volles Gehalt, ihre Beamtenbezüge, Abgeordnetendiäten, ihre Renten oder ihren Betriebsgewinn bekommen, ein Sonderopfer erbringen, erschwert auch eine vernünftige Diskussion darüber, wie man mit der Pandemie umgeht.

Meines Erachtens gibt es keinen vernünftigen Grund, die genannten Einbußen nicht als Sonderopfer anzusehen. Sonderopfer gehören entschädigt. Das ist ein Rechtsgrundsatz, der schon seit weit mehr als 100 Jahren im deutschen Recht mehr oder weniger gut verankert ist.

Die Betroffenen erleiden zu einem großen Teil nicht etwa Verluste aufgrund einer Pandemie, wie das z.B. in der Autoindustrie der Fall ist, die die Fabriken schließen mussten, weil ihre Lieferketten zusammenbrachen. Die Betroffenen erbringen das Sonderopfer aufgrund der staatlichen Maßnahmen, die möglicherweise sinnvoll waren bzw. sind, deren Rechtmäßigkeit man aber durchaus bezweifeln kann.

2. Handlungsempfehlungen

Nach dieser Betrachtung des Sachverhaltes und der damit verbunden Schlussfolgerungen möchte ich einige Empfehlungen anschließen.

a) Arbeitnehmer

Arbeitnehmer, die aufgrund von Entlassungen und/oder Kurzarbeit und/oder Kita- bzw. Schulschließungen (erhebliche) Einbußen hatten, haben aus heutiger Sicht keine reelle Chance auf eine Entschädigung. Gleichwohl würde ich diese beantragen. Ich würde diese Position vehement vertreten und ich würde – wenn ich in einer Gewerkschaft und/oder Partei organisiert wäre – den von mir gewählten oder für mich zuständigen Vertretern auf die Bude rücken, damit diese sich um meine Interessen kümmern. Das beste Argument dürfte sein, dass der Gewerkschaftsfunktionär auch keine Lohneinbußen hinnehmen musste und der Bundestags- und/oder Landtagsabgeordnete für die Notwendigkeit des Lockdowns sogar Verantwortung trägt.

Obwohl das Infektionsschutzgesetz eigentlich als Rechtsgrundlange für die Maßnahmen nicht genügend ist oder gerade deswegen sollte man die die Drei-Monats-Frist nach § 56 XI IfSG beachten. Der Anspruch stützt sich auf § 56 IfSG analog, in Sachsen auch auf § 41 SächsPolBehG, in anderen Bundesländern dürfte es entsprechende Gesetze geben, im Übrigen auf enteignenden oder enteignungsgleichen Eingriff, je nachdem ob man die Maßnahmen als rechtmäßig oder rechtswidrig ansehen will.

Der richtige Adressat für das Anspruchsschreiben dürfte das jeweilige Landessozialministerium sein bzw. die entsprechende Landesbehörde, in Sachsen ist das die Landesdirektion Sachsen.

Für das Anspruchsschreiben braucht man keinen Anwalt. Man kann es auch handschriftlich machen. Besser ist natürlich, wenn man es ausführlich und vernünftig begründet. Allerdings sollte man nicht auf eine positive Bescheidung hoffen. Es sollte eher dazu dienen, sich seine Ansprüche zu wahren und dem jeweiligen Bundesland zeigen, dass man nicht bereit ist, sich entschädigungslos opfern zu lassen.

b) Unternehmen und Selbstständige

Für Unternehmen gilt das Gleiche nur noch viel direkter. Das Sonderopfer, welches den Unternehmen abverlangt wird, zielt in vielen Fällen auf wirtschaftliche Vernichtung. Ein Messebauer, dessen Betrieb von 100 auf 0 gefahren wurde, wird auch mit den jetzigen Lockerungen nicht glücklich. Gastronomen werden – auch wenn sie wieder öffnen dürfen – ihre Gaststätten nicht voll bekommen, z.T. auch, weil die Touristen wegbleiben.

Meine Empfehlung:

1. Noch einmal prüfen, ob alle Hilfsmaßnahmen ausgeschöpft wurden.

2. Prüfen, ob man beantragte Hilfsgelder zu Recht beantragt hat. Der Staat wird bei Rückforderungen unerbittlich sein und jeden Fall von Subventionsbetrug strafrechtlich verfolgen.

3. Den Schaden dokumentieren! Das fällt jetzt vielleicht noch leicht. Im Laufe der Zeit wird es wohlmöglich schwieriger.

4. Die Ansprüche schriftlich und binnen 3-Monatsfrist stellen wie oben dargelegt.

5. Den Sonderopfer-Gedanken vehement vertreten! Das ist der Schlüssel zu einer wirklich solidarischen Corona-Politik, die darauf abzielt, dass alle gleichbehandelt werden.

Dresden, den 20.5.20

Hans Theisen